Wie entstehen die Artikel?

Das Entstehen von Artikeln für das Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus ist durch eine besondere Arbeitsweise geprägt. Der historisch-kritische Grundimpuls, allen Gewissheiten der Überlieferung zu misstrauen, macht es notwendig, die Arbeit an den Artikeln als einen offenen Forschungsprozess zu betreiben. Der Weg, der zu beschreiten ist, steht am Beginn nicht fest. Er muss im Gehen erkundet werden. Zu diesem Zweck haben sich im Wörterbuch kollektive Arbeitsformen herausgebildet. Statt konkurrierender Profilierung, wie sie, auch bedingt durch Ressourcenverknappung und ungleiche Mittelverteilung wie ›Exzellenz‹-Förderprogramme, in bestehenden Wissenschaftsinstitutionen, in Forschung und Lehre an den Universitäten verbreitet ist, soll der Arbeitsprozess am HKWM ein gemeinsames Forschen befördern. Kritik wird im Gegensatz zu akademisch üblichen Peer-review-Prozessen nicht anonym artikuliert. Stattdessen erhalten Autor*innen zu ihren Artikeln Feedback, dem sie Namen und meist auch ihnen bekannte Gesichter zuordnen können.

Exposé und erste Fassung

Die einzelnen Artikel des Wörterbuchs werden von ihren Verfasser*innen namentlich gezeichnet. Zugleich ist jeder HKWM-Artikel das Produkt einer diskursiven, kollektiven Arbeitsweise. Sie beginnt mit einem Exposé. Interessierte Autor*innen können zu einem der offenen Stichwörter jederzeit ein Exposé einreichen. Es skizziert auf zwei bis drei Seiten die Problemstellung, den Themenbereich und das zu bearbeitende Material. Dabei ist es hilfreich, bereits geschriebene thematisch verwandte Stichwörter im Wörterbuch zu konsultieren, um Überschneidungen zu vermeiden. Wird der Vorschlag von Seiten der Redaktion des Wörterbuchs angenommen, schreibt die/der Autor*in einen ersten Artikelentwurf bzw. eine Erste Fassung.

Auf den jährlichen InkriT-Tagungen werden die Entwürfe der Artikel in einzelnen Werkstätten mit ihren Autor*innen diskutiert, wie hier im Mai 2018 das Stichwort »Populismus« im ver.di-Bildungs- und Begegnungszentrum Clara Sahlberg (Berlin-Wannsee).

Wörterbuch-Werkstätten

Für die kollektive Arbeit am Wörterbuch hat sich die Arbeitsweise der ›Werkstätten‹ etabliert. Diese ›Werkstätten‹ gibt es in zwei Formen, die sich durch ihren Grad an Öffentlichkeit unterscheiden. Auf den jährlich (meistens im Mai) stattfindenden InkriT-Tagungen werden einzelne Fassungen von Artikeln mit ihren Autor*innen diskutiert. Dies geschieht während der Tagung auf vielen, mitunter parallel stattfindenden, 90minütigen Werkstätten, die sich jeweils einem Stichwort bzw. einer Artikelfassung widmen. Interessierte, die an der Tagung teilnehmen möchten, sind herzlich eingeladen, zu den Fellows des InkriT dazuzustoßen und mitzudiskutieren. Sie schreiben eine kurze Anfrage an tagungen@inkrit.org und erhalten die Gelegenheit, sich anzumelden.

Die zweite Arbeitsform sind die etwa alle zwei bis drei Monate stattfindenden Werkstätten der Wörterbuch-Redaktion. Die gesamte Redaktion diskutiert die neuesten Fassungen mehrerer Artikel. Gemeinsam ist beiden Werkstatt-Formen die Verwendung namentlich gezeichneter Voten als Diskussionsgrundlage, also von Einschätzungen und längeren Kommentaren zu den Artikelfassungen, geschrieben von Redakteur*innen und dazu eingeladenen Wissenschaftler*innen.

Redaktionsarbeit und Kommunikation mit den Autor*innen

Während die Anwesenheit der Autor*innen bei der InkriT-Tagung es ihnen ermöglicht, in direkten Austausch mit allen Beteiligten zu treten, um danach ihre Arbeit fortzusetzen, wird das Ergebnis der internen Beratungen der Wörterbuch-Redaktion von der/dem zuständigen Redakteur*in zusammengefasst und an die Autor*innen übermittelt. In den Redaktionswerkstätten erstellte Protokolle der Diskussionen zum Artikel dienen als Grundlage für die weitere Kommunikation von Ergänzungs-, Erweiterungs- und Änderungsvorschlägen. Dabei wird jeder einzelne Artikel von einer/m zuständigen Redakteur*in begleitet, die/der zwischen den Diskussionsrunden und den Autor*innen vermittelt und für die Kommunikation der Zwischenergebnisse verantwortlich ist. Auch die vier Herausgeber*innen teilen die Zuständigkeit für alle Artikel zusätzlich unter sich auf. In den Absprachen mit der Redaktion und den Herausgebern des HKWM im Laufe dieses Arbeitsprozesses sollen die Interessen aller Beteiligten widergespiegelt werden. Die historisch-kritische Qualität der Artikel wird durch ihre multiperspektivisch und emanzipatorisch kritische, disziplinenübergreifende und im historischen Material fundierte Entstehungsweise befördert.

Von den vorherigen Diskussionen ausgehend erstellen die Autor*innen eine nächste, also Zweite, Dritte Fassung etc. des Artikels. Die neuen Fassungen werden wiederum auf den Werkstätten diskutiert und durchlaufen einen weiteren Feedback-Kreislauf. Dies kann sich über einen längeren Zeitraum von einem bis zu drei Jahren erstrecken. Schließlich wird der fertige Artikel in der Redaktion unter Berücksichtigung editorischer, stilistischer und formaler Kriterien in die endgültige Form und zum Druck gebracht.

Jeder Artikel beginnt mit einem sogenannten Trailer, einem einführenden Abschnitt, der auf der Grundlage der erarbeiteten Geschichte zum Stichwort die Problemstellung und Argumentationsstruktur des Artikels zusammenfasst und die Relevanz des Stichworts bestimmt. Er orientiert am Anfang der Arbeit auf die Fragestellung des Artikels und entwickelt sich durch die Analyse des Materials weiter.

Kontroversen produktiv machen

Wir versuchen uns in der Arbeit am Wörterbuch gegenseitig zu unterstützen, damit der historisch-kritische Ansatz seine Produktivität entfalten kann. Denn notwendigerweise handelt es sich bei den Diskussionen um Verständigungs- und Aushandlungsprozesse, in denen verschiedene, kontroverse Perspektiven zu Wort kommen müssen, um sie für das Wörterbuch möglichst präzise formulieren und profilieren zu können. Daher werden Artikel häufig in Abschnitte aufgeteilt, in denen verschiedene Autor*innen einzelne Aspekte des Stichworts behandeln, die jeweils den Schwerpunkt auf eine Kritik aus z.B. antikolonialer, anti-imperialistischer, feministischer oder ökologischer Perspektive legen.

Diese kollektiven Arbeitsweisen sollen auch ermöglichen, dass das Wörterbuch nicht nur eine einzige Schulmeinung vertritt. Die Artikel werden von Repräsentant*innen unterschiedlicher Theorietraditionen und Marxismen verfasst, die aus verschiedenen Weltregionen kommen.

»Auf den […] jährlichen InkriT-Tagungen ist es zu einer festen Tradition geworden, die ›Wörterbuch-Werkstatt‹ über die Redaktionsgrenzen hinaus zu einer Stätte internationaler Diskussion unter den Autoren und Adressaten werden zu lassen.« [1]

[1] Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 3. Hamburg: Argument-Verlag 1998, S. III.