Konzept des Wörterbuchs

Das Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus (HKWM) ist ein auf 15 Bände angelegtes Begriffslexikon. Es wird seit 1994 am Berliner Institut für kritische Theorie (InkriT) von Wolfgang Fritz Haug, seit Band 7/I zusammen mit Frigga Haug und Peter Jehle und seit Band 8/I mit Wolfgang Küttler herausgegeben und erscheint im Hamburger Argument-Verlag. Zuletzt erschien 2018 Band 9/I »Maschinerie bis Mitbestimmung«. Neben den gedruckten Bänden, die in zahlreichen Bibliotheken auf der ganzen Welt eingesehen werden können, bietet die InkriTpedia auf den Seiten des Instituts für kritische Theorie kostenlosen Zugang zu den Trailern der Artikel und die Möglichkeit, sie gegen einen geringen finanziellen Beitrag herunterzuladen.

 

Die Bandbreite der Stichwörter, die im HKWM behandelt werden, umfasst nicht allein die marxistische Lexik im engen Sinn (etwa Charaktermaske, Kapital, Klassenkampf). Geschichtliche Grundbegriffe (Demokratie, Emanzipation, Herrschaft), Kategorien des Alltagslebens und der Emotionsgeschichte (Angst/Furcht, Einsamkeit, Lachen), Kunst- und Politik-Debatten (Faustus-Debatte, Hausarbeitsdebatte, Kopftuchstreit), politische und erkenntniskritische Metaphern (Camera Obscura, Gespenst, Maulwurf), Revolutionsgeschichte (Französische Revolution, Haitianische Revolution, Kronstädter Aufstand), Phänomene der Massenkultur (Fernsehen, Hollywood, Jeans), ästhetische Grundbegriffe (Gestus, Karikatur, Metapher), historische Individualitätsformen (Kurtisane, Marktfrauen, Marxistsein/Marxistinsein), marxistische Schulen und Linien (Brecht-Linie, Kritische Psychologie, Lukács-Schule) oder andere philosophische Strömungen (Darwinismus, Geistesgeschichte, Kantianismus) – all dies wird im Wörterbuch im Lichte der von Marx aufgeworfenen Fragen zum Gegenstand historisch-kritischer Untersuchungen. Am Anfang steht dabei keine zeitlose Definition, sondern eine geschichtliche Problematik.

 

Im Unterschied zu den großen Wörterbuchprojekten, die mit Reinhart Kosellecks Geschichtlichen Grundbegriffen oder Joachim Ritters Historischem Wörterbuch der Philosophie verbunden sind, verfolgt das HKWM eine Begriffsgeschichte, in der sich Methoden der historischen Semantik und Sozialgeschichte mit der Armatur kritischer Gesellschaftstheorie verknüpfen. Das Verfahren soll dazu dienen, den Fetisch abgeschlossener Definitionen zu vermeiden und die jeweilige, im Spiegel eines Begriffs auftauchende »Problematik in ihrer Genese, ihrer Entwicklung, ihrer Bestimmung durch die historisch spezifischen Produktionsverhältnisse bis zu den kapitalistischen und staatssozialistischen auszuleuchten« (Vorwort, HWKM 9/I).

 

Das Wörterbuch eignet sich als Studienwerkzeug und als Ausgangspunkt für Recherchen zu Geschichte, Philosophie, Ökonomie, Politik- und Sozialwissenschaften, Gender-Studies, Ökologie, Ästhetik oder Literaturwissenschaft. Seine Adressaten sind nicht nur Studierende und Wissenschaftler*innen, sondern auch Aktive aus Gewerkschaften, Parteien, Bildungsinstitutionen und anderen Organisationen sozialer Bewegungen. Da die Einträge primär Begriffen und Kategorien gewidmet sind, finden sich im HKWM keine Werkbiographien einzelner Personen. Dennoch eignet sich das Wörterbuch als Zugang zu zentralen Thesen, Positionen und Werken bestimmter Theoretiker*innen. Ihre Namen lassen sich einerseits über die Personenregister der Bände finden. Andererseits sind Theorietraditionen, die nach Personennamen benannt sind, ein fester Bestandteil des Wörterbuchs: es gibt Artikel zu Fanonismus, Mariateguismus, Abendroth-Schule oder Gramscismus.

 

Eine weitere Besonderheit des Wörterbuchs sind Artikel-Komplexe. Sie ergeben sich daraus, dass übergeordnete Themen, meist durch das Diktat des Alphabets bestimmt, in einzelnen Aspekten und Begriffen behandelt werden. So finden sich im vierten Band Artikel über Frauenarbeit, Frauenarbeitspolitik, Frauenbewegung, Frauenemanzipation, Frauenformen, Frauenfrage, Frauenhäuser, Frauensprache und Frauenstudien. In ähnlicher Weise enthält Band 9/II einen »Natur-Komplex«, in dem Lemmata wie Natur, Naturalform, Naturbeherrschung, Naturdialektik, Naturgeschichte, Naturschutz, Naturverfallenheit, Naturverhältnisse, gesellschaftliche Naturvölker, naturwissenschaftliche Exzerpte oder naturwüchsig einen Einblick in die marxistische Behandlung drängender ökologischer Fragen bieten.

 

Als Wörterbuch ist das HKWM auch ein Medium internationaler Zusammenarbeit. Mit bisher über 800 beteiligten Wissenschaftler*innen aus vielen Ländern stellt es ein wichtiges Forum für inter- und transnationale soziale Bewegungen wie sozialistische, sozialdemokratische und kommunistische, feministische, Ökologie- oder Friedensbewegungen dar. Die regelmäßig stattfindenden HKWM-Workshops und die jährlichen Tagungen des Instituts für kritische Theorie (InkriT) ermöglichen Austausch und Diskussion für verschiedene Strömungen des Marxismus. Sie erweitern stetig das laufende Projekt einer theoretischen und praktischen Aktualisierung des Marxismus um neue Stimmen im Dialog.